wsw.info: Tanzsport
Der Verein Grün-Gold Casino Wuppertal ist eine echte Institution in der bundesweiten Tanzsportszene. Seit über siebzig Jahren lockt er talentierte Tänzerinnen und Tänzer in unsere Stadt. Was steckt hinter der Faszination für den Leistungssport im Festgewand?
Die Stiletto-Schuhe der Damen gleiten beinahe lautlos über das glänzende Holzparkett. Mit schnellen Drehungen und ästhetischen Bewegungen schweben die Tanzpaare zum Sound lateinamerikanischer Musik durch den Saal. Es sieht so geschmeidig, so leichtfüßig aus. Und doch steckt mehr dahinter. Bei genauem Hinsehen fällt auf, dass die Tänzerinnen und Tänzer ordentlich ins Schwitzen kommen. Kein Wunder, schließlich sind wir hier nicht in einer Tanzschule, sondern beim Tanzsport. Das ist ein großer Unterschied.
Der große Saal in der Nützenberger Straße in Elberfeld ist die Trainingsstätte des Tanzsportvereins Grün-Gold Casino Wuppertal. Hier feilen angehende und bereits aktive Amateursportler und -sportlerinnen an ihren Bewegungsabläufen, am Timing, der Balance und der Kommunikation untereinander. Das bekräftigt auch Peter Gábor, der sich um die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins kümmert und das heutige Treffen arrangiert hat. „Was wir hier machen ist Individualsport mit Kleinstgruppen.“ Damit meint er natürlich die „Gruppe“ Tänzer und Tänzerin. Anders als man vermuten könnte, handelt es sich dabei nicht um Paare im eigentlichen Sinne. Emotionen sind nicht im Spiel, es geht einzig um das Zusammenspiel auf der Tanzfläche, die Kommunikation, die Leistungsklasse und um den Körperbau. Nur wenn alles zusammenpasst, sind sportliche Höchstleistungen bei Wettbewerben möglich. „Beim Führen reichen im Idealfall kleinste Körperbewegungen“, so Gábor. So wie bei dem Jugendpaar David Goldort (17) und Angelina Helbing (15), die zuletzt beeindruckende Erfolge, zum Beispiel bei den Deutschen Jugendmeisterschaften, feiern konnten. Dabei hat das Paar erst im Februar zueinandergefunden. Eine erstaunliche Leistung, findet auch Peter Gábor, der selbst jahrelang in der höchsten Leistungsklasse getanzt hat.
Grün-Gold Casino
Der Wuppertaler Verein gehört zu den Gründungsmitgliedern des Tanzsportverbandes Nordrhein-Westfalen.
Wie die meisten jungen Menschen, die hier heute ihr Einzeltraining absolvieren, kommt auch das Erfolgspaar nicht aus Wuppertal. Angelina Helbing wohnt in Erkelenz, David Goldort ist in Köln zu Hause. Die Anreise nehmen sie trotzdem täglich in Kauf. Auch andere lassen sich von langen Fahrten zum Trainingsort nicht abschrecken. Von den insgesamt zwölf jungen Menschen, die auf dem Parkett trainieren, ist überhaupt nur eine aus dem Tal: die zwölfjährige Christina Metrovic. Heute trainiert sie alleine und verfeinert ihre Technik unter den aufmerksamen Blicken von Mayya Tochelovich. „Ich trainiere auch ihre kleine Schwester“, sagt die 39-Jährige.
Tochelovich und ihr Mann Pavel Kurgan sind nicht ganz unbeteiligt an den großen Erfolgen des Vereins. Seit über 20 Jahren prägen die Wuppertaler das Training und damit auch den Ruf, den der Verein in ganz Deutschland genießt. Ehrgeizige Tänzerinnen und Tänzer aus Düsseldorf, Neuss, Gelsenkirchen, Dortmund und vielen anderen Städten kommen mehrmals in der Woche, um sich von den beiden unter die Arme greifen zu lassen. „Es geht immer um die Details“, sagt Pavel Kurgan, der sich auf die Standard-Tänze spezialisiert hat. „Man kann immer etwas verbessern in den Bewegungen. Je genauer die Anweisungen umgesetzt werden, desto schneller kommt man ans Ziel.“ Für den Fall, dass die Hinweise des Trainers mal nicht so gut angenommen werden, wird der Videobeweis zu Rate gezogen. Soll heißen, die Trainer nehmen die Tanzbewegungen mit dem Handy auf und geben so die Möglichkeit zur Selbstanalyse. Das sei ein wichtiges Hilfsmittel beim Training, erklärt Kurgan.
„Jedes Tanzpaar braucht einen eigenen Ansatz. Da geht es ganz viel um Vertrauen und psychologische Betreuung“, so Pavel Kurgan. Im Prinzip, so erklärt es der 36-Jährige, gehe es darum, „die Informationen und Hinweise des Trainers so genau wie möglich umzusetzen“. Machen Bewegungen fühlten sich für die Tänzer am Anfang ungewohnt oder sogar falsch an. Diese Diskrepanz zwischen eigener Wahrnehmung und dem äußeren Bild gelte es zu überwinden. Und: „Je höher man in den Leistungsklassen kommt, desto feiner sind die Hinweise.“
Das festgelegte Ziel aller Anwesenden ist die Leistungsverbesserung. Das bestätigt uns auch Justin Ehlert, der soeben eine kurze Pause eingelegt hat und ziemlich verschwitzt zu uns rüberkommt. Was fasziniert einen jungen Mann am Tanzsport? „Einfach alles, die Bewegung, der Spaß, die Musik“, sagt Ehlert. Angefangen habe er mit etwa zehn Jahren als Tanzpartner für seine Schwester. Seit dem lässt ihn der Sport nicht mehr los. Auf die Frage, warum er den weiten Weg aus seiner Heimatstadt Kassel auf sich nimmt, antwortet er: „Ich will mich verbessern und hier sind einfach die besten Trainer, man bekommt viel Unterstützung. Außerdem mag ich die Menschen hier.“ Dann muss Ehlert wieder aufs Parkett und gemeinsam mit seiner Partnerin Nicole Menser trainieren.
„Je höher man in den Leistungsklassen kommt, desto feiner sind die Hinweise.“
Pavel Kurgan
Die Leidenschaft, mir der alle Anwesenden ihrem Sport nachgehen, ist außerordentlich. Vor allem deshalb, weil sich mit dem Tanzsport so gut wie kein Geld verdienen lässt. Auch nicht in den höchsten Leistungsklassen. Es bleibt letztlich ein Hobby. „Wir sind ein Nischensport“, sagt Pavel Kurgan und zuckt mit den Schultern. „Anders als im Fußball oder Tennis gibt es keine hohen Preisgelder oder gut dotierte Sponsorenverträge. Die Vereine bezahlen auch nicht für die Tänzer.“ Auch die aktuell erfolgreiche TV-Show Lets Dance habe nicht dazu beigetragen, den Sport zu pushen. „Wir haben nicht erst seit der Coronakrise Nachwuchsprobleme“, bedauert Maya Tochelovich die Entwicklung. Die meisten Eltern wären nicht bereit, die nötige Disziplin für ihre Kinder einzufordern.
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Eine der größten Tanzsportveranstaltungen dieser Art in Deutschland in der Historischen Stadthalle. Mit Tanzturnieren aller Alters- und Leistungsklassen – vom Anfänger bis zum Weltmeister.
Und doch gibt es Lichtblicke. Mitten im Training deutet Tochelovich auf ein Tanzpaar, das hingebungsvoll durch den Saal wirbelt. „Die beiden sind aus der Ukraine geflüchtet und jetzt bei uns im Verein untergekommen“, sagt sie sichtlich erfreut. In den osteuropäischen Ländern habe der Tanzsport noch einen ganz anderen Stellenwert als bei uns. Sie muss es wissen, den Maya Tochelovich stammt selbst aus Russland und ihr Mann aus der Ukraine. Ihre beiden Kinder sind bislang noch etwas zu klein für den Tanzsport, aber werden bald sicher die ersten Kontakte mit dem Parkett machen.
Text: Marc Freudenhammer
Fotos: Süleyman Kayaalp