wsw.info: Rückepferde Stromtrasse
Den WSW gehören 65 Kilometer 110-kV-Hochspannungs-Freileitungen, durch die der Strom aus dem europäischen Übertragungsnetz nach Wuppertal fließt. Die Trassen führen auch durch Waldgebiete. Hier kontrollieren die WSW regelmäßig, dass keine Bäume und Sträucher in den Schutzbereich der Leitungen hineinwachsen. Wo dies der Fall ist, wird das Gehölz zurückgeschnitten. Bei diesen Arbeiten setzen die WSW auch auf tierische Unterstützung.
Es ist ein nasskalter Dezembertag in einem Waldstück in Langenberg. Elliott und Paula sind schon seit dem Morgen an dem steilen Hang unter der Freileitungstrasse bei der Arbeit. Ihre Aufgabe: die Baumstämme aus dem Unterholz ziehen, damit sie später abtransportiert werden können. Elliott und Paula sind Kaltblüter, sogenannte Rückepferde, und die Arbeit scheint ihnen nicht viel auszumachen. Elliott, ein achtjähriger Wallach, trottet ruhig den Waldweg unterhalb des Hangs auf und ab. An seinem Zuggeschirr hängt die „Stange“ – so nennt man in der Fortwirtschaft einen Baumstamm – eines frisch gefällten Baums. Dafür haben Forstunternehmer Frank Wirth und sein Kollege Daniel Proske extra eine Flaschenzugkonstruktion an mehreren Bäumen befestigt, damit die Stämme den richtigen Weg nehmen und Elliott die Arbeit erleichtert wird.
Weiter oben am Hang ist die siebenjährige Stute Paula ebenfalls mit Holzrücken beschäftigt. Dort zeigt sich auch, warum hier mit Pferden gearbeitet wird und nicht mit Maschinen. Der steile Weg, der am Hang nach oben führt, ist mit Felsgestein und Wurzelwerk durchsetzt. Selbst als Wanderer braucht man hier festes Schuhwerk für einen sicheren Tritt. Mit Traktoren und Maschinen hätte man keine Chance.
Das hat nichts mit Nostalgie zu tun.
Frank Wirth
Die WSW betreten bei der Pflege ihrer Freileitungstrasse in Langenberg Neuland. „Bei allem, was an den Stromtrassen in Wäldern passiert, stimmen wir uns eng mit dem zuständigen Forstamt und den jeweiligen Grundstückseigentümern ab“, erklärt Philipp Francki von der WSW Netz GmbH. Dabei geht es nicht nur um die erforderlichen Genehmigungen, sondern auch um die ökologische Bewertung und Baubegleitung der Bereiche, in denen gearbeitet wird. Das Forstamt hat in diesem Fall auch den Kontakt zu einem Forstunternehmer hergestellt, der die Arbeiten unter ökologischen Aspekten erledigen kann
Ökologische Fortwirtschaft ist ein Trend in der Waldpflege – von Umweltverbänden seit Jahren gefordert und von den Forstämtern nachdrücklich unterstützt. „Das hat nichts mit Nostalgie zu tun“, erklärt Forstunternehmer Frank Wirth. In seinem Betrieb verfügt er natürlich auch über einen ansehnlichen Maschinenpark, aber für diesen speziellen Auftrag der WSW in Langenberg sind seiner Meinung nach die Rückepferde das Mittel der Wahl. Nicht nur in den hügeligen Waldgebieten des Bergischen Landes leisten die Kaltblüter gute Arbeit, sondern auch in Trinkwasserschutzgebieten sind sie bei der schonenden Waldpflege unverzichtbar.
Die WSW waren von dieser Herangehensweise sofort überzeugt. Die Arbeit mit den Rückepferden schont den Waldboden. Außerdem bleibt das Totholz auf den Trassen unter den Freileitungen liegen und bietet Schutz und Nistmöglichkeiten für viele Tiere. Wird das Holz restlos entfernt, entstehen in den Wäldern ökologisch wertlose Schneisen, die von vielen Tier- und vor allem Insektenarten nicht überwunden werden können. So aber bleibt der Zusammenhang der Lebensräume erhalten.
Besitzer der beiden Comtois-Kaltblüter Elliott und Paula ist Daniel Proske. Auch er ist selbstständiger Forstunternehmer und hat schon öfter mit Frank Wirth zusammengearbeitet. Seit einigen Jahren hat er sich auf die Arbeit mit Rückepferden spezialisiert und ist der einzige Anbieter dafür in Niederberg. „Davor habe ich hauptsächlich mit Kutschpferden gearbeitet und danach auch versucht, Haflinger für die Feldarbeit mit dem Pflug auszubilden“, berichtet er. Mit den Comtois-Pferden hat er die ideale Pferderasse für die Arbeit im Wald gefunden. Sie stammt ursprünglich aus Ostfrankreich und war im Mittelalter als Schlachtross bei Ritterturnieren beliebt. Dann gerieten die stämmigen Pferde in Vergessenheit und erlebten erst im 20. Jahrhundert eine Renaissance. Beliebt sind sie bis heute vor allem in Frankreich und Belgien – und nun auch im Bergischen Land.
Das Holzrücken ist ein Saisongeschäft. „Die Pferde müssen aber regelmäßig beschäftigt werden“, berichtet Proske. Wenn er keine andere Arbeit für sie hat, spannt er Paula und Elliott zur Not auch nach Feierabend noch vor seine Kutsche und dreht ein paar Runden. „So bleiben sie in Übung.“ Es ist wichtig, dass sie ans Arbeiten gewöhnt bleiben, denn allein die Ausbildung als Rückepferd dauert bis zu zwei Jahre. „Es geht ja nicht nur ums Bäume Ziehen“, sagt Daniel Proske, „die Pferde müssen sich auch an den Lärm von Motorsägen oder laut bellende Hunde von Spaziergängern gewöhnen und dabei ruhig bleiben.“ Von Natur aus sind Pferde Fluchttiere. In solchen Situationen ruhig zu bleiben, müssen sie erst lernen. Das sei ganz ähnlich wie bei Polizeipferden: „Ich muss mich auf die beiden verlassen können, sonst ist die Unfallgefahr zu groß“, so Proske.
Philipp Francki erklärt, warum das Freischneiden der Freileitungstrassen so wichtig ist: „Durch die Leitungen fließt Strom mit einer Spannung von 110 000 Volt. Kommt man den Leitungen zu nahe, droht Lebensgefahr durch einen tödlichen Stromschlag.“ Der Annäherungsbereich an die Leiterseile muss frei von gefährdendem Bewuchs sein. Dabei soll auch verhindert werden, dass Bäume, die durch Sturm umbrechen, in die Leiterseile stürzen. Aber es geht bei der Trassenpflege nicht nur um mögliche Schäden an Masten und Leitungen. Auch den Überschlag auf Erdpotenzial –ähnlich wie bei einem Blitzschlag –gilt es zu verhindern. Genau das aber kann passieren, wenn Bäume und Sträucher in die Trassen hineinwachsen. „Sonst können die 110 000 Volt plötzlich auf den Boden übertragen werden. Es bilden sich sogenannte Spannungstrichter und gefährden besonders Menschen und Tiere, die sich dort gerade aufhalten“, warnt Philipp Francki. In einem trockenen Sommer könnten solche Überschläge auch Waldbrände auslösen. Damit keine Gefahr für Mensch und Tier besteht, müssen die WSW als Netzbetreiber dafür sorgen, dass die Trassen der Hochspannungs-Freileitungen regelmäßig kontrolliert und freigeschnitten werden.
Kommt man den Leitungen zu nahe, droht Lebensgefahr durch einen tödlichen Stromschlag.
Philipp Francki
Bei den Passanten kommen Elliott und Paula gut an. Viele sind von den imposanten Rössern beeindruckt. Der stämmige Wuchs, die bedächtigen Bewegungen, das weiche Fell und die dampfenden Nüstern – all das strahlt gleichzeitig Tatkraft und Ruhe aus. Auch für ihren Besitzer sind die Pferde nicht einfach nur Arbeitstiere. Für Daniel Proske ist klar, dass die beiden auch noch ihren wohlverdienten Ruhestand auf seinem Hof verbringen dürfen. Aber bis dahin gibt es noch viel Holz zu rücken.
Text: Rainer Friedrich
Fotos: Bettina Osswald