wsw.info: Korsettschneider

Haltung zeigen

Kirk Whitmers Schöpfungen bringen die weibliche Taille in Form. Seine Werkzeuge: Nadel, Faden, Stoff – und Stahl. Mit seinem Handwerk als Korsettschneider gehört er zu den letzten seiner Art. An neuen Kundinnen mangelt es jedoch nicht.

Mit ernstem Blick und sorgfältigen Handgriffen umkreist Kirk Whitmer die junge Frau in seinem Atelier. Es ist bereits der dritte Durchlauf, schließlich soll alles richtig sitzen. Geduld ist in diesem Fall eine Tugend. Seine Werkzeuge: ein Maßband und mehrere Stecknadeln. Rund 20 Minuten dauert die Prozedur. Am Ende hat Whitmer, der selbst ein ausgesprochen akkurates Outfit bei seiner Arbeit trägt, alle nötigen Informationen, um sein Werk zu vollenden. Es handelt sich dabei um ein kunstvoll geschneidertes Korsett aus dunkelroter Dupionseide. Die Anprobe und das individuelle Anpassen machen rund 75 Prozent der Arbeit aus, sagt er. Hier entscheidet sich, ob das neue Kleidungsstück auch zum Wohlfühlstück wird. „Ein gutes Korsett ist wie eine feste Umarmung“, sagt Whitmer. Und das, obwohl es die Hüfte der Trägerin mit flachen Stahlstäben in Form hält.

Ein Korsett – oder in der französischen Schreibweise corset – war schon immer dafür gedacht, die Körperhaltung zu verbessern und gleichzeitig eine schmale Taille zu zaubern. Die maßgeschneiderten Korsetts von Kirk Whitmer haben darüber hinaus noch einen Vorteil: Sie sind bequem. Im Gegensatz zu Korsetts von der Stange sind die „Hüftgürtel“ des Wuppertaler Schneiders an den Körper der Trägerin perfekt angepasst. Whitmer bestellt seine Kundinnen – es gibt übrigens auch Kunden – mehrmals zur Anprobe, um den optimalen Sitz des Korsetts zu überprüfen.

Modisches Statement

Nicht selten hört Whitmer das Vorurteil, Korsetts würden ausschließlich in der Fetisch-Szene getragen. Diese Sichtweise teilt der Modedesigner nicht, schließlich gebe es genügend andere Gründe. Hochzeiten, Jubiläen und andere Festlichkeiten sind die ersten Anlässe, die einem einfallen. Ein weiterer Anwendungsfall sind zum Beispiel Opernsängerinnern und -sänger. Das Korsett helfe, die Atmung zu kontrollieren, so Whitmer. Außerdem unterstützen die modischen „Formgeber“ eine gute und gesunde Haltung, was die Trägerinnen selbstbewusster wirken lässt.

„Ein Korsett ist immer auch ein Statement.“

Kirk Whitmer

Der Wahlwuppertaler ist Korsettschneider aus Passion. Als er sich während seines Modedesign-Studiums am Fashion Institute Technology in New York City zum ersten Mal mit Korsetts auseinandersetzte, wusste er: Genau das will ich machen. „Mich fasziniert, dass man mit wenigen Mitteln viel erreichen kann“, sagt der 54-Jährige. Mit kaum einem anderen Kleidungsstück sei es so einfach, Problemstellen dezent zu kaschieren und die Vorzüge zur Geltung zu bringen. Dabei sind seine Kreationen nur zu einem geringen Teil dafür gedacht, als Funktionswäsche unter der Kleidung getragen zu werden. Die allermeisten Kundinnen entscheiden sich für ein Korsett, das gut sichtbar ist. Oder wie es Whitmer ausdrückt: „Ein Korsett ist immer auch ein Statement.“

Nach seiner Hochphase im 18. Jahrhundert hat es das Korsett nie wieder in den Mainstream geschafft, war immer eher ein Nischenprodukt oder besser gesagt eines, das für besondere Anlässe reserviert ist. Ganz weg war es allerdings nie. Es gebe immer wieder Zeiten, in denen Korsetts auch für die breite Masse an Modebegeisterten relevant sind, sagt der Designer. Oft ausgelöst von Ikonen aus der Popkultur, so wie zum Beispiel Madonna in den Achtzigern oder Gwen Stefanie in den Neunzigern.

Das kleine Schwarze

Seine edlen Stoffe bezieht Whitmer zu einem Großteil von einem Lieferanten aus Wuppertal. Die lange Textiltradition seiner Wahlheimat ist dem US-Amerikaner wohl bewusst. „Wir freuen uns, in einer Stadt etabliert zu sein, die eine lange Geschichte in der Textilindustrie hat“, so Whitmer. Auch von den Reisen in die alte Heimat bringt er gelegentlich ausgesuchte Stoffe mit. „Mein Vorteil ist, dass ich nur sehr wenig Stoff für meine Arbeit benötige“, sagt der Schneider.

Das kleine Atelier in der Osterfelder Straße hat Kirk Whitmer im Herbst 2015 bezogen. Gegründet wurde deux lunes – so der Markenname – drei Jahre zuvor in Brooklyn, New York. Deux lunes, das ist Französisch und bedeutet zwei Monde, was auf die Hervorhebung des weiblichen Busens durch Tragen eines Korsetts anspielt. Für Whitmer war vor allem der romantische Klang der beiden Wörter ausschlaggebend.

Seine Kundinnen stammen zum größten Teil aus NRW, aber ab und an schneidert er auch für Interessenten aus dem Ausland. Einmal musste Whitmer für eine Kundin aus Ägypten ein Korsett in Rekordzeit anfertigen, die nur kurz in Wuppertal verweilte. „Um neun Uhr hatten wir das erste Fitting, nachmittags das zweite“, erinnert sich Kirk Whitmer. Mit diesen zwei Terminen sei es ihm gelungen, das Korsett fertigzustellen und anschließend zu verschicken. Sehr zur Freude der Kundin, die sich da bereits wieder in ihrer Heimat befand.

Text: Marc Freudenhammer
Fotos: Süleyman Kayaalp