wsw.info: Agora Wuppertal
Hip-Hop in der Hood
Das Projekt Agora Wuppertal vereint Nachbarschaft, Stadtteilentwicklung und Hip-Hop auf einzigartige Weise – auf Augenhöhe statt von oben herab. Ein modernes Forum für urbane Kultur.
Die Luft ist kalt an diesem frühen Nachmittag an der Schwarzbach. Das heruntergekommene Fabrikgebäude der ehemaligen Seifenfabrik Luhns ragt weit über die Dächer der angrenzenden Häuser hinaus. Davor ein großer Platz mit zwei ausrangierten Übersee-Containern. Das gesamte Gelände ist eingezäunt, ein kleines Tor auf der linken Seite gewährt Einlass. Davor warten Karla Spennrath und Sebastian Klaus. Sie wollen zusammen mit zahlreichen weiteren Akteuren mit dem Projekt Agora den Stadtteil wiederbeleben.
Im Austausch
Die Agora, das war im antiken Griechenland ein Zentrum des öffentlichen Austauschs. Ein Ort für Feste, Versammlungen und den Diskurs der Bürger. Es war auch ein Ort für politische und juristische Auseinandersetzungen. Daran angelehnt hat sich Anfang 2021 die Agora Wuppertal gebildet. „Wir wollen ein Forum für urbane Kultur sein und Menschen verschiedener Kulturen und Herkunftsländer zusammenzubringen und eine neue Gemeinschaft entstehen lassen“, sagt Projektleiterin Karla Spennrath, die als einziges Gründungsmitglied nicht selbst künstlerisch aktiv ist. „Schwarzbach hat Potenzial und eine eigene Identität“, ist sich Spennrath sicher.
Was die Agora-Mitglieder da in Schwarzbach machen, ist Hip-Hop in seiner ursprünglichsten Form. Die in den 70er Jahren entstandene Subkultur vereinte die Elemente Rap (Sprechgesang), Breakdance (eine Tanzrichtung), DJing (Mixen von Musik mit Schallplattenspielern) und Graffiti. Gemeinhin gilt die New Yorker Bronx als Geburtsstätte des Hip-Hop. Ein Stadtteil, der seinerzeit durch Bandenaktivitäten und allgemeine Verwahrlosung eine Brutstätte für Kriminalität und Perspektivlosigkeit der Jugend war. Die Beschäftigung mit neuen Ausdrucksformen wie Musik, Tanz und Kunst verschaffte den jungen Menschen – der Großteil mit afroamerikanischen Wurzeln – eine echte Alternative. Hip-Hop wurde zu einer Plattform, auf der eine gewaltfreie Auseinandersetzung möglich war und die nicht zuletzt identitätsstiftend wirkte.
Das Quartier Schwarzbach ist freilich nicht die Bronx, doch aber ein Brennpunktviertel. Hohe Arbeitslosigkeit, viele Menschen mit Migrations- oder Fluchthintergrund, Sanierungsstau bei den Gebäuden. Eine funktionierende Nachbarschaft, die alle Beteiligten gleichermaßen ins Boot holt, gibt es bislang nicht. Das soll sich mit der Agora ändern. Der Anfang ist gemacht.
Unter dem Motto „Agora! Macht! Stadt!“ haben die Initiatoren im Sommer 2021 ein Festival veranstaltet. Im Zeitraum von Juli bis August wurden die Türen des Geländes beinahe täglich geöffnet. Am Ende gab es eine große Abschlussfeier. Das Geld dafür wurde via Crowdfunding gesammelt. In einem Doku-Video mit dem Titel HOOD 42, das Ende Oktober auf YouTube veröffentlicht wurde, gibt es einen Rückblick. Es wurde gemeinsam gekocht, getanzt, gerappt und geredet – über Stadtteilthemen, persönliche Konflikte, Bedürfnisse und Lokalpolitik.
Hood
Als Hood bezeichnet man im Hip-Hop-Slang die Nachbarschaft beziehungsweise das Wohnviertel.
Gesprächskreis
Viele der „Macher“ der Agora arbeiten in sozialen Berufen, sind gelernte Erzieher oder Sozialarbeiter. Gleichzeitig sind sie selbst aktiv in der Hip-Hop-Szene, schreiben Rap-Texte, nehmen als Breakdancer an Events teil, widmen sich als DJ beziehungsweise DJane den Plattentellern oder gestalten Wände mit Graffiti-Kunst. „Unser Vorteil ist, dass wir mit den Kids auf Augenhöhe kommunizieren können“, sagt Sebastian Klaus, der unter dem Künstlernamen „Bast“ unter anderem Breakdance- und Parkour-Workshops anbietet. Auch die beiden Mitbegründer Timur „Kizzy“ Baykara und Pita August Baraza, Spitzname Augusto, teilen diese Einschätzung. „Wir wollen den Jugendlichen hier alternative Möglichkeiten bieten, ihre Talente zu entdecken“, sagt Baykara.
Eine Form der Teilhabe sind die sogenannten Rap-Cypher, die regelmäßig veranstaltet werden. Unter einem Cypher versteht man einen improvisierten und nacheinander von mehreren Personen dargebotenen Sprechgesang. „Man hat acht Takte Zeit, sich zu einem bestimmten Schlagwort einen Text zu überlegen und diesen zu rappen“, erklärt Sebastian Klaus. Eine Art Gesprächsrunde mit Musik, bei der nicht das Konkurrenzdenken im Vordergrund steht, sondern der Austausch und das gemeinsame Erlebnis.
Im September konnte man die Agora live auf der Bühne im Engelsgarten erleben. Mit ihrer Rap-Interpretation der „Internationale“ heizten sie dem anwesenden Publikum ordentlich ein. Für nächstes Jahr ist ein weiteres Sommercamp geplant und bis dahin werden die Agora-Macher sich weiterhin für ihre „Hood“ stark machen.
Text: Marc Freudenhammer
Foto: Süleyman Kayaalp