wsw.info: Treppen-Reihe

Starke Stufen

112 bunte Stufen sind es vom Glück bis zum Mut. Dazwischen warten auch weniger schöne Gefühle. Die Holsteiner Treppe im Quartier Ostersbaum ist ein begehbares Kunstwerk.

Warum halten Menschen beim Treppensteigen inne? Manch einer verschnauft vielleicht, während ein anderer aufs Smartphone schaut, etwas aus der Tasche holt oder die Aussicht genießt. All das ist auch auf der Holsteiner Treppe möglich, die steil zwischen Elberfelder Hauswänden klemmt. Vom oberen Ende aus blickt man über Mauern, Dächer und einen mediterran anmutenden Balkon hinweg Richtung Westen zur Turmspitze der Friedhofskirche. Aber tatsächlich bietet die Freitreppe, die von dort, wo die Gathe in die Uellendahler Straße übergeht, in gerader Linie hinauf zur Holsteiner Straße führt, noch einen anderen Anlass zum Verweilen. Und der macht das um 1900 errichtete Bauwerk im Quartier Ostersbaum mit seinen 112 Stufen zu etwas Besonderem. Nicht nur in Wuppertal, wo es allein im öffentlichen Raum 469 Treppen gibt.

Jeder Schritt ein Gefühl

Die Holsteiner Treppe ist bunt, jede Stufe hat eine andere Farbe. Zwischen 10 und 15 von ihnen bilden je ein Ensemble, getrennt von insgesamt acht asphaltierten Podesten, mit ein paar Sitzgelegenheiten und einem Kaleidoskop-Fernrohr. Wer von oben nach unten geht, sieht nur den in die Jahre gekommenen Anstrich. Wer die Stufen hinaufsteigt, entdeckt an jeder Stirnseite eine Begrifflichkeit, montiert in Versalien des Schrifttyps „Humanist“. Mit „Glück“ geht es los, über „Heimat“ zu „schlechtes Gewissen“, weiter zu „Zorn“ und „verlassen“ zu „beistehen“ und „Tiefe“, von „Nähe“, „Güte“ und „Treue“, „Rache“ und „Schuld“, zu „heilen“ und „wertschätzen“. Die Einheiten vermitteln mal positive, mal negative Gefühle. Passend dazu nannte der verantwortliche Künstler Hort Gläsker sein Transformationswerk „Scala dei sentimenti“, italienisch für „Treppe der Sinne“.

ca. 1900

wurde die Holsteiner Treppe gebaut

Worte aus Lebensphasen

Die verbalisierten Emotionen sollen die Auseinandersetzung mit dem eigenen Befinden während des Auf- oder Abstiegs fördern. Die Wortsammlungen symbolisieren Lebens- und Entwicklungsphasen, etwa in Zusammenhang mit Familie oder Kommunikation. Aber sie lassen sich auch unmittelbar mit den Empfindungen beim Treppensteigen verknüpfen, lauten die obersten Begriffe doch zum Beispiel „Besinnung“, „Frieden“ und „Dankbarkeit“. Das letzte Wort: „Mut“. Den Rahmen der „Scala“ bildete vor 14 Jahren das temporäre thematische Kunstprojekt „7 Treppen“, das von der Elisabeth Montag Stiftung und der Stadt Wuppertal im Rahmen des Programms Regionale 2006 und unterstützt vom NRW-Ministerium für Bauen und Verkehr umgesetzt wurde. „Sieben Künstler aus den Bereichen Installation, Malerei, Projektion, Licht und Klang gestalteten je eine Treppe im Ortsteil“, schildert die damalige Kuratorin Ingrid Raschke-Stuwe.

2006

wurde die Treppe im Rahmen eines Kunstprojekts zur „Treppe der Sinne“ umbenannt.

Berühmt auch im Ausland

Es heißt, die Holsteiner Treppe – nachts hübsch beleuchtet – belege Platz 7 in einem Ranking der weltschönsten Treppen. Aber bleiben wir in Wuppertal. Dank einer Bürgerinitiative ist das Kunstwerk dauerhaft zu bewundern und wurde bereits zwei Mal aufgefrischt: 2008 und 2016. Für Dr. Rolf Volmerig, Vorstand der Wirtschaftsförderung, welche die jüngste Renovierung finanziell bezuschusste, gehört sie mit Blick auf künstlerische Aussage und stadthistorische Bedeutung zu den relevantesten der Stadt. „Die Treppe ist einer der meistbesuchten Plätze unserer Stadt und taucht sogar als Tipp in chinesischen Online-Reiseportalen auf.“ Ein Grund, der in nicht allzu ferner Zukunft einen weiteren Refresh rechtfertigen würde. Übrigens: Während manche Straßen in Wuppertal eine Treppe lediglich unterbrechen, markiert die Holsteiner Straße das Ende der Holsteiner und gleichzeitig den unteren Beginn der Flensburger Treppe, die ebenfalls künstlerischen Wert hat. Aber das ist eine Geschichte, die wir uns für eine der nächsten Ausgaben der wsw.info aufheben.

Text: Tonia Sorrentino