wsw.info: Alpaka-Wanderungen
Zwei Alpakas, ein Lama und ein Mischling aus beiden leben auf dem Kohlfurther Hof. Besuche erfolgen zu Therapiezwecken: Die Tiere fördern das innere Gleichgewicht und die Kommunikationsfähigkeit.
Ruhig blicken Pauls braune Augen auf den Menschen, der in gebührendem Abstand verharrt. Vorsichtig nähert sich das Tier, hebt den Kopf, hält Blickkontakt, bläht die Nüstern, schnuppert. Dabei bewegt sich seine schwarz-grau-weiß gefärbte Schnauze wie in Zeitlupe auf und ab. „Paul nimmt Witterung auf“, übersetzt Thomas Rößler die Körpersprache des Alpakamischlings. Daraufhin wagt sich der Besucher vor, streckt eine Hand aus. Paul zieht sich zurück, Kopf und Hals entfernen sich zuerst von dem Unbekannten. „Das ist eine typische Rückzugbewegung“, erklärt Rößler. „Alpakas sind Fluchttiere. Paul lässt diese neue Situation jetzt erst mal sacken.“
Paul, fünf Jahre alt und Nachkomme eines Alpakaweibchens sowie eines männlichen Lamas, ist das Oberhaupt der kleinen Herde, die seit 2017 auf dem Alpakahof in der Kohlfurth lebt. Der ebenfalls fünfjährige Bailey's, der im Gegensatz zur dunkelbraunen Nuance seines Chefs hellbraunes Fell hat, steht in der Rangordnung auf Platz zwei. Derzeit Dritter und Letzter ist Sir Tobi, braun-weiß gescheckt und mit seinen drei Lebensjahren der Jüngste im Bunde. „Ab und zu rangeln sie um die Hierarchie“, sagt der Hof-Inhaber. „Das sind aber keine echten Kämpfe. Eher versuchen sie, Hals an Hals, sich gegenseitig umzuwerfen. Das ist immer schnell vorbei. Dann wenden sie sich wieder ihren Lieblingsbeschäftigungen zu: fressen und dösen.“ Alpakas streben stark nach Harmonie und Gleichgewicht, sowohl der eigenen Seele als auch in der Gruppe, in der sie sich befinden.
Diese innere Balance – bei Mensch und Tier gleichermaßen – steht bei den ganzjährigen Alpaka-Wanderungen, die der 2015 eröffnete Hof an den Wochenenden anbietet, im Fokus. Rößler hatte mit Leihtieren gearbeitet, bis er Paul, Bailey's und Sir Tobi von einem Züchter im Münsterland kaufte und ihnen auf seinem 2014 erworbenen Grundstück eine neue Heimat gab. „Die Idee unseres Fördervereins für tiergestützte Intervention entstand 2011“, sagt Rößler, für den die anspruchslosen Alpakas mit ihrem eigenen Willen die perfekten Begleiter für Menschen sind, die zur Ruhe kommen wollen. „Unsere Besucher wissen, dass sie weder Streichelzoo noch Abenteuer-Event buchen. Das Kennenlernen und die Wanderung mit den Alpakas sind sehr reduzierte Erlebnisse. Alle müssen sich aufeinander einlassen und einander vertrauen, um sich als 'Herde' fortzubewegen.“ Er gebe nur den Rahmen vor, der Rest entwickle sich von selbst. „Im Anschluss sind die Leute entspannt und glücklich.“
Seitdem die Rößlers unmittelbar an der Grenze zum Naturschutzgebiet ihren Seelenfrieden fanden, helfen sie auch anderen dabei. Besucher wandern mit den Alpakas oder genießen vor oder nach einem „Meet and Greet“ mit den Tieren auf dem Hof die große Bergische Kaffeetafel, die Claudia Rößler für die Gäste auftischt. „Viele reisen extra dafür von weit her an“, sagt ihr Mann. Deshalb sowie um die Tiere nicht zu überfordern, arbeitet das Paar nur mit Terminvereinbarung. 2021 wird die Herde um ein weiteres, einjähriges Alpaka erweitert – und um eine Praxis für tiergestützte Ergotherapie. Der Bau ist in den letzten Zügen, die Eröffnung für kommendes Frühjahr geplant. Tochter und Ergotherapeutin Victoria Rößler wird jungen Menschen dabei helfen, Kommunikationsstörungen zu überwinden und einen Weg zurück in ihr soziales Umfeld und die Gesellschaft zu finden.
Bei den Wanderungen ist künftig vielleicht auch Artus (7) dabei. Das weiße Lama wohnt seit Herbst 2019 auf dem Hof. Im Zirkus geboren und wegen seiner Eleganz benannt nach der königlichen Sagengestalt, integriert sich das Tier in keine Herde, wird aber mehrheitlich von seinen friedlichen Mitbewohnern akzeptiert. Im Gegensatz zu Letztgenannten ist Artus neugierig auf die Menschen um ihn herum – und damit eine Art Extra-Attraktion auf dem Alpakahof.
Text: Tonia Sorrentino