wsw.info: Modeschöpferin Andrea Halstenbach
Modetrends sind in der Regel kurzlebig. Nicht so bei der Wuppertaler Modeschöpferin Andrea Halstenbach. Sie legt großen Wert auf Nachhaltigkeit, Fairness in der Produktion und im Handel. Trendbegriffe wie „in“ und „out“ sind für sie längst überholt.
„Mein Vater war ein echter Ästhet
und hat großen Wert auf seine Kleidung
und andere Dinge gelegt.“
Kaschmir und Merino sind nicht nur schön anzufassen und besonders angenehm zu tragen, sie sind auch echte Leckerbissen für Motten. Was Kleidung aus diesen Materialien – vor allem die hochpreisigen Exemplare – zu einem besonders schützenswerten Gut macht. Aus diesem Grund hat die Modedesignerin Andrea Halstenbach in ihrem Atelier aktuell alle Kleidungsstücke sicher in Kleiderhüllen eingepackt. „Ich mag wirklich alle Tiere – außer Motten“, sagt sie und lacht. Wie zum Beweis trottet in diesem Moment ein gutmütiger Boxer namens Henry durch das Atelier und begrüßt die unbekannten Gesichter. Das typisch bergische Haus an der Friedrich-Engels-Allee ist der Wohn- und Arbeitsplatz der 57-jährigen Designerin. Außen Schiefer, innen naturbelassene Holzdielenböden, hohe Decken mit Stuckverzierungen und farbenfrohen Bemalungen. Hier entwickelt die Chefin von Halstenbach Fine Clothes hautschmeichelnde Mode für Kunden auf der ganzen Welt. Ihre Kollektionen kleiden Models auf den Laufstegen in den Modemetropolen New York und Paris. Pro Jahr präsentiert sie zwei Kollektionen, neuerdings sind auch einige Stücke ohne Merino oder Kaschmir darunter.
Im Frühjahr noch wilde Muster, im Herbst schon monochrom. Gestern noch enge Hosen, heute Schlabberlook. Die alten Kleider aus der letzten Saison werden aussortiert, fristen ein trost- und hoffnungsloses Dasein auf den Bügeln in den Boutiquen. Wer sich doch daran vergreift, ist modisch nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Dieses verstaubte Bild der Modebranche ist längst überholt. „In oder out ist out“, findet Andrea Halstenbach. „Nicht einmal die Modemagazine schreiben so etwas noch.“ Wertigkeit und Wertschätzung – von Materialien, Arbeit und natürlich den Menschen, die in und für die Modebranche ihre Ideen und Arbeitskraft einbringen. Das ist es, was Andrea Halstenbach im Blick hat. Ihre Stücke sollen nicht nur gut aussehen, sondern auch lange Freude machen. Und das gepaart mit einem guten Gewissen.
Diesen Sinn für qualitativ hochwertige Kleidung und das Gespür für Ästhetik hat für die Modedesignerin den Ursprung in ihrer Kindheit: „Mein Vater war ein echter Ästhet und hat großen Wert auf seine Kleidung und andere Dinge gelegt.“ Diese Einstellung hat auch Andrea Halstenbach an ihre insgesamt drei Kinder weitergegeben, die inzwischen alle mehr oder weniger selbst in kreativen Bereichen arbeiten. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Halstenbach Fine Clothes bis zu einem gewissen Grad ein Familienunternehmen ist. Alle bringen sich ein, wenn es darauf ankommt.
Natürlich müssen die Kleidungsstücke auch gefallen, keine Frage. Zu allererst der Designerin selbst. Aber das allein reiche heute einfach nicht mehr, findet Halstenbach. Für sie ist die gesamte Wertschöpfungskette, vom ersten Entwurf über die Rohstoffgewinnung bis zur Produktion, relevant. „Ich versuche, die Produktion der Garne so weit wie möglich zurückzuverfolgen“, sagt sie. Das geht dann auch mal so weit, dass sie die Haltungsbedingungen der Tiere, die die Wolle für ihre fast ausschließlich in Handarbeit gefertigten Strickwaren liefern, abklären lässt. Vertrauen ist in diesem Fall ein hohes Gut, deshalb sucht sie sich ihre Partner ganz genau aus. Billige Massenware, Ausbeutung von Arbeitskräften sowie ein respektloser Umgang mit Ressourcen sind ihr ein Greul. Wer es sich leisten kann, sollte beim Modekauf zwingend auf solche Dinge achten, findet Andrea Halstenbach.
Ihre gesamte Kollektion lässt sie in Italien fertigen. Hier hält sie enge und langjährige Kontakte zu den Produzenten. „Ich kenne jeden, der für mich strickt“, sagt sie. Und warum ausgerechnet Italien? „Dort wird traditionell die beste Qualität hergestellt“, so ihre simple Antwort. Hergestellt bedeutet in diesem Fall gestrickt. Denn: Strick ist kein Stoff, das heißt, alles muss genau auf Maß produziert werden, nachträgliche Zuschnitte sind nicht möglich. Was wiederum eine enge Zusammenarbeit mit den Produzenten und auch einen regelmäßigen Austausch vor Ort unerlässlich macht. In Corona-Zeiten ist das natürlich ein Problem.
„Ich versuche, die Produktion der Garne so weit wie möglich zurückzuverfolgen.“
Andrea Halstenbachs aktuelles Lieblingsstück ist ein glamouröser schwarzer Mantel, der auch als Kleid getragen werden kann. Das edle Stück besteht aus einer hautschmeichelnden Mischung aus Kaschmir und Seide. Der untere Teil des etwa knielangen Mantels ist mit einem bronzefarbenen Verlauf beschichtet. Neben ihren eigenen Kreationen hat die Modeschöpferin auch noch eine weitere Obsession: Schuhe. Dank ihrer engen Freundschaft zu diversen Schuhdesignerinnen ist sie stolze Besitzerin von etwa 60 Paar Schuhen.
Sie sei durchaus gerne in Wuppertal, sagt Halstenbach. „Ich bin auf gewisse Weise ein Stubenhocker. Mir ist es wichtig, dass ich mich zu Hause fühlen kann.“ Das gilt auch für ihre Aufenthalte in New York, Italien oder in anderen Teilen der Welt, die sie aus beruflichen Gründen bereist. Deshalb hat sie über die vergangenen Jahre ganz bewusst persönliche Kontakte geknüpft, ein eigenes Netzwerk aus Freunden, in dem sie sich bewegt, wenn sie vor Ort ist. In diesem Jahr sieht das allerdings schlecht aus. Für Andrea Halstenbach ist die Situation allerdings kein Grund, den Kopf hängen zu lassen, sie blickt lieber nach vorne und tüftelt derweil schon an neuen Entwürfen. Denn: Die nächste Modesaison kommt ganz bestimmt.
Text: Marc Freudenhammer