Kultur: Kampfkunst Aikido
Körper, Geist, Bewegung
Schnelle Schläge, spektakuläre Tritte und Sprünge – das ist das Bild, was viele mit Kampfkunst assoziieren. Im Aikido wird der Gegner zum Partner und sein Angriff respektvoll umgeleitet. Eine Probestunde im Dojo von Ludger Müller und Miko Gottschalk.
Es sieht so einfach aus. Mit weichen, fließenden Bewegungen drehen sich die Männer und Frauen in weißen Anzügen und dunklen Hosen aneinander vorbei. Leichtfüßig, spielerisch. Am Ende eines Bewegungsablaufs rollt einer der beiden meist geschmeidig über die mit Segeltuch bespannte Matte. Ludger Müller und eine seiner Schülerinnen demonstrieren die nächste Übung. Wie selbstverständlich finden sich anschließend jeweils zwei Partner dafür zusammen. Kathrin (36) kommt auf mich zu. Sie verbeugt sich, ich mache es ihr nach. Es ist offensichtlich, dass ich der Besucher der Gruppe bin und nicht so recht weiß, wie und wohin. Doch das hält sie nicht davon ab, sich auf meine etwas unkoordinierten Bewegungen einzulassen. Was vorhin noch so fließend und leicht aussah, wird für mich zu einer schwierigen Koordinationsaufgabe. Rechtes Bein nach hinten, rechter Arm führt, das Becken eindrehen, sicherer Stand, nicht ziehen. Und immer an das eigene Zentrum denken. Mein Körper scheint irgendwie nicht so recht zu wissen, was ich von ihm will. „Ganz normal am Anfang“, beruhigt mich Kathrin. „das wird schon.“ Und richtig, nach einigen Wiederholungen – und quasi zum Ende der Übung – scheint es, als wenn meine Arme und Beine den Ablauf zumindest annähernd verstanden hätten. Ein erstes Erfolgserlebnis.
Gut für die Wirbelsäule
Ludger Müller und Miko Gottschalk sind die Meister hier im Dojo (Trainingsraum) am Bornberg 55. In einer aufwendig umgebauten Fabrikhalle haben die beiden Aikidokas – so nennt man Menschen, die den Weg des Aikido eingeschlagen haben – ihre Schule 1991 eröffnet. Gelernt haben beide bei Meister Asai, der die japanische Kampfkunst Mitte der 60er Jahre nach Deutschland brachte und selbst zehn Jahre bei Morihei Ueshiba, dem Begründer des Aikido, gelernt hat. Ludger Müller beschäftigt sich seit rund 36 Jahren mit Aikido und hat den sechsten Dan, Miko Gottschalk hat vor 30 Jahren angefangen und ist Inhaber des fünften Dans. „Aikido ist vor allem eine gewaltfreie Kampfkunst, kein Kampfsport“, so Müller. „Wir arbeiten immer miteinander, nie gegeneinander. Man leitet die Energie eines Angriffs in eine andere Richtung und wehrt diesen dadurch ab.“ Das „Ai“ in Aikido steht dementsprechend für Harmonie oder Freundschaft, das „Ki“ für Lebensenergie und „Do“ ist der Weg von Geist und Körper.
Beim Training auf der Matte verschmelzen der Theorie gemäß zwei Energien miteinander. Meistens geschieht das mit Drehbewegungen, die dem Aikido seine unvergleichliche Form verleihen. „Das ist besonders gut für die Wirbelsäule“, so Müller, der genau wie sein Kompagnon gelernter Heilpraktiker ist. Das Ziel sei es nicht, den Angreifenden unschädlich zu machen, sondern ihn oder sie unter Kontrolle zu bringen und dadurch von seinem Vorhaben abzubringen. Das Training ist von gegenseitigem Respekt geprägt. Oder wie es der Aikido-Gründer Morihei Ueshiba ausdrückt: „Wenn du angegriffen wirst, schließe deinen Gegner ins Herz.“
Es gibt folgerichtig keine Wettkämpfe im Aikido, kein gegenseitiges Kräftemessen und auch keine brutalen Tritt- oder Schlagtechniken. Auf der Matte stehen sich nicht Gegner gegenüber, sondern Partner. Außerdem gibt es keine farbigen Gürtel, die den Lernfortschritt (Kyu) dokumentieren, wie es in vielen Kampfsportarten üblich ist. Das einzige sichtbare Zeichen ist der schwarze oder dunkelblaue Hosenrock (Hakama), der über dem weißen Anzug getragen wird. Wer den Hakama trägt, ist aus der Stufe des Anfängers herausgewachsen. Damit verbunden wird auch die Verantwortung, die erworbenen Fähigkeiten an die weniger Erfahrenen weiterzugeben. Zur zweiten Kategorie zähle ich mich an diesem Samstagmorgen bei meiner Probestunde.
Ein Destillat von Kampfkunst
Die nächste Übung ist noch etwas komplexer als die davor. Dieses Mal erbarmt sich Uli, mit mir zu üben. Der 54-Jährige führt meinen Arm nach oben, dann eine Drehung, dann befinde ich mich kniend auf dem Mattenboden, mein rechter Arm wird über einen Hebel unter Kontrolle gehalten. Es ist eindeutig, dass diese Technik zur Angriffsabwehr gedacht ist, beim Training geht es aber um die Bewegung miteinander. Und damit hapert es bei mir, wie wohl bei jedem Anfänger. Insgesamt gibt es 16 unterschiedliche Grundbewegungen, die müsse man zunächst rund hundert Mal üben und danach noch hundert Mal, motiviert mich Miko Gottschalk, der mir jetzt als Partner gegenübersteht. Nichtsdestotrotz freue ich mich auch über kleine Lernerfolge. Einige Bewegungsabläufe ähneln sich und man findet sich langsam aber sicher immer besser ein. Nur die Koordination rechtsherum und dann linksherum will nicht so recht in meinen Kopf. Aikido ist keine Sportart und auch keine reine Selbstverteidigung, sondern eher ein Lebensweg, erklärt Miko Gottschalk. Und so nehmen die beiden Inhaber des Dojos bis heute regelmäßig an Lehrgängen teil, meistens bei ihrem Meister Asai, der mit seinen weit über siebzig Jahren nach wie vor aktiv ist.
Wie in beinahe allen asiatischen Kampfkünsten spielt auch im Aikido der spirituelle Aspekt eine große Rolle. „Für mich ist Aikido eine Bewegungskunst, die den Körper wie auch den Geist erfasst“, sagt Miko Gottschalk. „Es ist eine Art Destillat oder eine Essenz von Kampfkunst.“ Grundsätzlich sei Aikido aber geeignet für alle Menschen, die Lust an Bewegung und Kontakt mit anderen haben. Was man letztlich an spirituellen Anreizen für sich daraus mitnehme, sei eine individuelle Entscheidung. Die obligatorischen Begrüßungen zu Beginn und zum Abschluss jeder Trainingsstunde muss trotzdem jeder mitmachen. Die haben mit Spiritualität erst mal nichts zu tun, sondern sind ein Zeichen des gegenseitigen Respekts.
Text: Marc Freudenhammer