Kultur: 100 Jahre Frieba
Alle Fäden in der Hand
Seit einem Jahrhundert rattern bei Frieba die Flecht- und Häkelmaschinen. Die Technik hat sich bis heute kaum verändert. Schon früher waren die Produkte unter der Bezeichnung „Barmer Artikel“ bekannt, heute werden sie weltweit exportiert. Ein Traditionsunternehmen wie aus dem Bilderbuch der Wuppertaler Textilindustrie.
Die Eingangstür des Unternehmens ist eher unspektakulär und kann von Fußgängern leicht übersehen werden. Ein kleines Metallschild an der Hauswand verrät, was sich hinter der unscheinbaren Tür unweit der Uellendahler Straße verbirgt. „Frieba – Textilwerk Carl Friedrich GmbH & Co.“ steht darauf. Im Innenraum wird man von dem Charme der 60er Jahre empfangen. Und von Uwe Hein, dem Geschäftsführer des Unternehmens, das vor 100 Jahren in Barmen gegründet wurde. Frieba produziert Litzen, Tressen, Kordeln, Paspeln, Zierborten, Fransen und Bänder. Den größten Teil der Produktion nehmen heute die Flechtartikel ein. Darüber hinaus gibt es eine, von den Kunden sehr geschätzte, riesige Auswahl an Häkelborten und Webbändern. Viele der hier hergestellten Artikel finden hinterher Verwendung in den eleganten Kostümen von Chanel, den sportlichen Hemden von Olymp oder in den Produkten der Schweizer Möbelschmiede Vitra. Wenn man ganz genau hinschaut, kann man die Produkte von Frieba sogar in dem Hollywoodstreifen „Fluch der Karibik“ entdecken. Für den oscarnominierten Film habe man zahlreiche Zierborten und Tressen gefertigt, erzählt Uwe Hein.
1919 wurde das Unternehmen Frieba in Wuppertal-Barmen gegründet.
Der Markenname Frieba ist eine Kombination aus der Abkürzung des Nachnamens des 1887 geborenen Gründers Carl Johann Friedrich und dem damaligen Gründungsstandort in Barmen. Der gelernte Maschinenbauer war Zeit seines Lebens ein ausgefuchster Bastler und Tüftler. Unzählige Patente wurden in seinem Namen angemeldet, zu einer Zeit, in der die Band- und Flechtindustrie in Wuppertal ihre Blüte erlebte. Unter dem Namen „Barmer Artikel“ wurden die Erzeugnisse aus dem Tal an der Wupper in die ganze Welt verschifft. Ein regelrechter Boom. Nahezu die gesamte ansässige Wirtschaft war damals mehr oder weniger mit der Barmer Textilbranche verbunden. Ein wichtiges Merkmal dieser Branche war und ist ihre Anpassungsfähigkeit. So startete Carl Friedrich seine Produktion 1919 mit einem Schwerpunkt auf Schnürriemen und anderen Schuhteilen. Heute liegt der Fokus auf Produkten für die Bekleidungsindustrie. Der Gründer ist am 27. Juni 1970 gestorben, sein Unternehmen befindet sich bis heute in Familienbesitz.
„Wir punkten heute vor allem mit unserem riesigen Sortiment, der schnellen und flexiblen Produktion und natürlich mit Qualität“, sagt der 58-jährige Geschäftsführer. „Die Massenproduktion in Fernost ist für uns so gesehen keine Konkurrenz. Wir fertigen für die Bekleidungs- und Druckindustrie und liefern unsere Produkte weltweit – auch nach Asien.“ Er selbst ist seit 1998 bei Frieba. Zu Beginn als Groß- und Außenhandelskaufmann, seit rund 15 Jahren als Geschäftsführer. Heute arbeiten in den verwinkelten Räumen in der Eschenbeeker Straße 25 Menschen.
Riesige Vielfalt
Rundgang im Betrieb. Im gut gefüllten Musterlager stapeln sich die geflochtenen und gehäkelten Schätze des Traditionsunternehmens. Etliche Kilometer von bunten, dicken, dünnen, flachen, runden, gewellten und mit den verschiedensten Mustern versehenen Produkten. Manche glitzern in Metallicfarben, andere sind schlicht und einfarbig. Eine unglaubliche Vielfalt. In einem der Regale stehen dicke Spulen mit leuchtend gelbem Litzenmaterial. „Das ist speziell für den ADAC gefärbt“, erklärt Uwe Hein. Der Automobilclub verwendet es als Lesezeichenband für diverse Publikationen wie zum Beispiel den jährlich erscheinenden Autoatlas. 1 500 Meter winden sich um jede Spule, das sei wichtig für die reibungslose Buchproduktion, erklärt Hein.
5 cm breit sind die breitesten geflochtenen Bänder.
In der Produktionshalle im Erdgeschoss betritt man ein Meer aus Flechtmaschinen. Die vorherrschende Bewegung hier: Drehen. In jeder der Maschinen sind mindestens acht Spulen mit teils unterschiedlichen Garnen eingespannt. Das laute Rattern der sogenannten Flügelräder – die gewissermaßen das Herzstück jeder Flechtmaschine darstellen – verdichtet sich zu einem ohrenbetäubenden Dröhnen. Wer hier arbeitet, muss Ohrenstöpsel tragen. Die Garnspulen sitzen auf entsprechenden Klöppeln, die rotieren in irrsinniger Geschwindigkeit, die fertigen Litzen und Tressen spucken sie vergleichsweise langsam aus. „Je nach Garnmaterial hat die Geschwindigkeit Einfluss auf die Breite der Bänder“, erklärt Uwe Hein. Auch die Form des fertigen Produkts lässt sich verblüffend einfach beeinflussen: „Bei einer ungeraden Anzahl an Spulen produzieren die Maschinen flache Bänder, lässt sich die Anzahl durch vier teilen, ist das Ergebnis eine runde Kordel.“
Die größte Flechtmaschine bei Frieba kann 81 einzelne Spulen aufnehmen, das älteste Modell des Maschinenparks stammt noch aus den Anfangstagen, was bedeutet, dass es über 60 Jahre auf dem Buckel hat. Aus technischer Sicht hat sich in der Zeit relativ wenig getan – von Entwicklungen für die Massenproduktion abgesehen. Die Maschinen bei Frieba arbeiten nach wie vor nach dem gleichen Prinzip und sie müssen auch immer noch von Hand eingerichtet werden. Das lässt sich nicht automatisieren. Vereinfacht dargestellt funktionieren die Flechtmaschinen wie folgt: Garnspulen drehen sich auf einer ebenen Fläche im Kreis. Die ringsum angeordneten Flügelräder übergeben die sich drehenden Spulen, sodass diese im Kreis „wandern“. Uwe Hein deutet auf eine Spule mit rotem Garn, die sich in dem unübersichtlichen Gewirr ihren Weg in Achterbahnen durch den Kreislauf bahnt. Das Garn der verschiedenen Spulen vereint sich in der Mitte und wandert nach oben, wo die fertige Litze schließlich zu sehen ist. Mit diesem mehr oder weniger einfachen Verfahren lassen sich schier endlose Varianten herstellen. Nicht nur durch die Kombination mehrerer Farben. „Wenn man ein kleines Gewicht in die Mitte hängt, wird das Band gewellt“, erklärt Uwe Hein.
3000 Meter produzierteurde das Unternehmen Frieba in Wuppertal-Barmen gegründet.
Entwicklung mit Gefühl
Im Erdgeschoss des Nebengebäudes wird das Garn umgespult. Das ist notwendig, weil es unterschiedliche Spulenarten für die entsprechenden Maschinen gibt, außerdem werden die Garne auf großen Rollen angeliefert, die nicht direkt verwendet werden können. Die Umspulmaschinen, die hier ihren Dienst verrichten, sind die einzigen im gesamten Betrieb, die zum Teil computergesteuert arbeiten. Die vielbeschworene Digitalisierung hat bei Frieba kaum Auswirkungen. Auch Industriedesignerin Anja Albrecht kann sich nicht allein auf die Arbeit am PC verlassen. Die 51-Jährige entwickelt jedes Jahr rund 100 neue Artikel für das Frieba-Sortiment. Alles sozusagen analog in Kopf- und Handarbeit. „Ich muss das Material selbst in der Hand haben und ausprobieren, das lässt sich am Bildschirm einfach nicht simulieren“, sagt sie. Im Laufe des Entwicklungsprozesses lässt sie Musterstücke im Betrieb anfertigen, sogenannte Laufmuster. Dann wird kontrolliert: Ist die gewünschte Optik, der angestrebte Effekt erreicht worden? Wie wirken die ausgewählten Farben und Materialien zusammen? Welchen Griff hat das Endprodukt? Wie fest ist es? Jedes Detail zählt.
„Durch den Einsatz unterschiedlicher Artikel kann die Wirkung, der Ausdruck eines Kleidungsstücks, die Stilrichtung unterstrichen und besonders betont werden, ob es eher sportlich, elegant oder verspielt wirken soll“, so Anja Albrecht. Einen wirklichen Eindruck von der Vielfalt des Sortiments erhält man, wenn man sich die Musterkarten anschaut, die Kunden des Unternehmens bei der Auswahl helfen. Auf jeder Karte sind mehrere Originalmuster aufgebracht. Hunderte davon stapeln sich bei Frieba in mehreren Regalen, die fast bis zur Decke reichen. „Oftmals entwickeln wir zusammen mit unseren Kunden spezielle Designs, die genau zur Kleidung passen“, so Anja Albrecht. Schließlich müsse man sich den aktuellsten Trends der Mode immer wieder anpassen. Nicht selten verlassen sich die Kunden aber auf die Kreativität und das Know-how der Designerin. „Viele sind einfach überfordert von der Vielfalt“, sagt sie.
8 bis 81 Spulen fassen die Flechtmaschinen bei Frieba.
In der zweiten Etage, über der Spulerei, findet sich die Häkelei. Im Gegensatz zum Flechtbetrieb geht es hier etwas gemächlicher zur Sache. Hier wird auf sogenannten Kettenwirkmaschinen gefertigt. Unter der Aufsicht der fachkundigen Mitarbeiter entstehen hier unter anderem Zier- und Besatzborten, Schlingenborten, Effekt- und Chanel-Borten, Borten in Klöppelspitzenoptik oder mit Pailletten und Fransen. Anstatt Rotation gibt es bei der sogenannten Häkelgalon-Technik keine drehenden Maschinenteile, die vorherrschende Bewegung ist ein rhythmisches Auf und Ab. Das diesjährige Jubiläum feiert man bei Frieba im kleinen Rahmen mit der treuen Belegschaft sowie mit den Eigentümerinnen und deren Familien. Außerdem wolle man eine Jubiläumsschrift produzieren lassen, sagt Uwe Hein, der sich nun aber erst einmal auf die nächste Messe in München vorbereiten muss. In der zweiten Februarwoche geht es dann nach Paris zur Premiére Vision, eine internationale Fachmesse für Modezubehör, dort gehen auch die Einkäufer der großen europäischen Modelabels ein und aus – und nehmen die neuesten Kreationen aus dem Wuppertaler Unternehmen unter die Lupe. Derweil rattern die Maschinen in der Eschenbeeker Straße unaufhörlich weiter. Wie seit hundert Jahren.
Text: Marc Freudenhammer