Freizeit: Jonglier-Duo „Spot the Drop“
Aus Neugier wurde ein Hobby, aus wachsender Leidenschaft schließlich eine Profession: Niels Seidel und Malte Steinmetz touren als Jonglier-Duo mit abwechslungsreichen Shows quer durch die Welt.
Eine horizontale Gerade, schwarz auf weißem Papier. Über ihr Ziffern von null bis neun, darunter eine sich regelmäßig fortsetzende Buchstabenreihe: R-G-B-R-G-B-R-G-B. Die steht für einen roten, einen gelben und einen blauen Ball. Niels Seidel zeichnet einen Bogen von null zu zwei, eins zu vier, zwei zu fünf. Ein neuer verbindet zwei Buchstaben. Immer mehr Linien und Zahlen bereichern die Darstellung. Seidel erklärt damit den „Siteswap“, für Jongleure Basiswissen und internationale Sprache gleichermaßen. Mit Zahlenfolgen notieren und „übersetzen“ diese jedwedes Jonglierkunststück. Jede Ziffer beschreibt etwas ganz Bestimmtes, ähnlich wie Noten eine Melodie. Zum Beispiel verrät diese Art der Notation, in welcher Anzahl, Höhe und in welchem Zeitabstand Bälle oder Keulen durch die Luft wirbeln sowie in welcher Hand des Jonglierenden sie starten und landen.
Wenn Seidel und sein Bühnenpartner Malte Steinmetz ihre Jongliermuster in der Praxis anwenden, macht das selbstverständlich weit mehr Eindruck als in der Theorie. Das über viele Kontinente hinweg bekannte Wuppertaler Duo „Spot the drop“ arbeitet seit zehn Jahren zusammen. In ihren eigens konzipierten Shows spielt zum einen klassisches Jongliermaterial eine Rolle, je nach Auftritt Bälle, Ringe, Leuchtkeulen. „Zusätzlich kommen auch mal Klappstühle, Koffer und Taschen zum Einsatz“, sagt Steinmetz. „Wir binden gerne vieles um uns herum ein und lassen Sachen aus dem Nichts entstehen.“ Neben ausgefeilter Jonglierkunst und dem Hang zu ungewöhnlichen Requisiten charakterisieren die Darbietungen ein bis ins Kleinste perfektioniertes Zusammenspiel aus Musik und Takt, Timing und Überraschung, Mimik und Witz, Gestik und Akrobatik, Atmosphäre und Licht – mal subtil, mal groß, mal schräg, beeindruckend durch akkurate Technik und komplexe Strukturen oder auch Minimalismus.
Duo mit gemeinsamen Wurzeln
„Ständig probieren wir Neues aus, suchen nach etwas, das vor uns noch keiner gemacht hat“, schildert Seidel. Zwar sei darunter viel Ausschuss, „aber der Bodensatz wird eingekocht und damit perfektioniert“, ergänzt Steinmetz. Das Üben artistischer Kniffe war es auch, das zum Kennenlernen der beiden gebürtigen Westfalen im Jahr 2004 führte. Sie nutzten denselben Proberaum in Barmen, grüßten sich, entdeckten ihren gemeinsamen beruflichen Hintergrund: Steinmetz war nach seinem Zivildienst ins Ausland gegangen, ließ sich am Centre for Contemporary Circus & Physical Performance im englischen Bristol ausbilden. Danach zog er für ein Lehramtsstudium von Englisch und Geschichte an der Bergischen Universität nach Wuppertal. Der enge Bezug zur Jonglage blieb jedoch, bald arbeitete er wieder für mehrere Kompanien. Auch Seidel ging zunächst ins Ausland. An der Ecole supérieure des arts du cirque in Brüssel studierte er Partnerakrobatik und Jonglage, arbeitete nach seinem staatlichen Fachhochschulabschluss in Zirkuskünsten – damals einer der ersten in Belgien – in mehreren Produktionen an der flämischen Oper sowie später mit einer belgischen Zirkusgruppe. Weil seine jetzige Frau einen Studienplatz in Wuppertal erhalten hatte, kam er zurück.
Als bei Steinmetz eines Tages eine Kundenanfrage zu einer Jonglage zu zweit einging, sprach er Seidel an. Aus einem Auftritt wurden mehrere, aus zwei Solonummern mit spontanen Partnereinlagen mit der Zeit – die nahmen sich die Künstler – ein ausgefeiltes Programm.
Die Gründung des Duos sei nicht von Beginn an das Ziel gewesen, sagt Steinmetz. „Wir sind zusammengewachsen.“ Nach Auftritten in Wuppertal und Umgebung erweiterte sich der Radius, inzwischen touren die beiden durch die ganze Welt. Und bezaubern Menschen jedes Alters mit ihrer Kunst. Die in Deutschland übrigens, so Seidel, eher eine Randform sei. „Dadurch sind wir hier ein wenig die Exoten. In anderen Ländern rangieren Jonglieren und Zirkus auf einer Ebene mit zum Beispiel Oper, Sprechfilm, Figurentheater und Musical.“
Warten als Muse
Vier feste Shows hat das Duo derzeit zur Auswahl. „Vorwürfe und Handgreiflichkeiten“ – mit dem Wortspiel beschreiben die Jongleure auf humorvolle Art, was sie mit dem Jongliermaterial tun: werfen und greifen – ist laut Steinmetz eine Show für drinnen und draußen, individualisierbar nach den Wünschen des Auftraggebers, etwa Zeit und Musik. „Stehfleisch und Sitzvermögen“ erzählt auf kurzweilige Art über ein Alltagsthema. „Bei uns entstehen viele Ideen, während wir warten: auf den Flieger, den Zug, den Bus, das Licht, den Ton-Check, den Bühneneinsatz. Ein Kollege sagte mal, dass wir eigentlich professionell warten.“ Die Interaktion der beiden Jongleure, die subtil mit einem Ball beginnt und sich weiterentwickelt, spiegelt diese Art Ausharren. Immer mit dabei: Regisseure, Videofilmer, Lichtdesigner, Agentur, manchmal hochkarätige Livemusiker.
„Erstaunlich ist, dass Jonglage die Zuschauer heute immer noch genauso fasziniert wie früher“, sagt Seidel. Im Rahmen der sich ausweitenden Digitalisierung gehe man ganz selbstverständlich mit Apps um, sei aber weiterhin nahezu verzaubert von einer Wurfkeule, die im Takt zur Musik in unterschiedlichen Farben aufleuchte. Dem Duo helfe der technologische Fortschritt allerdings maßgeblich, wie Seidel sagt: „Dank Videos und Computern können wir heute viel schneller erkennen, ob unsere Ideen für Jongliermuster einen Sinn ergeben oder nicht. Das ist unheimlich spannend und eröffnet uns viele Möglichkeiten.“ Nach einem Wunschort gefragt, wo die beiden Jongleure gerne einmal performen würden, antwortet Seidel: „In Afrika waren wir noch nicht. Und ein Auftritt in Wuppertal über Silvester wäre schön.“