Freizeit: Café-du-Congo-Gründer Jean-Louis Marie
Algerien, Frankreich, Deutschland. Das wäre die radikale Kurzform des Werdegangs von Jean-Louis Marie. Er hat einst das Café du Congo im Luisenviertel gegründet und nicht nur damit den Stadtteil maßgeblich mitgeprägt. Einblicke in ein bewegtes Leben.
Jean-Louis Marie – ein Name wie ein französisches Gedicht. Mit so einem Namen wird man des Öfteren gefragt, ob der wirklich echt ist. Er ist. Ausgedacht habe er ihn sich definitiv nicht, aber für ein Modelabel wurde er schon mal genutzt, erklärt der Gründer des Café du Congo und schenkt uns einen ziemlich kräftigen Mokka ein. Seinerzeit habe Kurt Tykwer, der Vater von Regisseur Tom Tykwer („Das Parfum“, „Lola rennt“), ihn angesprochen, weil er den klangvollen Namen für eine seiner Kollektionen nutzen wollte. Später gab es dann aus irgendeinem Grund Ärger mit dem holländischen Geschäftspartner und Jean-Louis musste sogar bei einem Anwalt vorsprechen, um die Sache zu klären. Jean-Louis Marie hat unzählige solcher Geschichten auf Lager. Einige spielen in Wuppertal, andere in Paris, manche in Algerien, seinem Geburtsland.
Trotz seines stattlichen Alters von 71 Jahren wirkt der ehemalige Gastronom erstaunlich jung und irgendwie abenteuerlich. Jeans, Kapuzenpullover, Hornbrille, hellgraue Wollmütze und ein fast genauso grauer Vollbart. Man hört ihm gerne zu. Schuld daran ist sicher auch der stark französische Akzent. Der kommt nicht von ungefähr. Seine Eltern stammen beide aus Frankreich, der Vater hatte im zweiten Weltkrieg gekämpft und war fünf Jahre in Kriegsgefangenschaft gewesen. Deshalb bot die französische Regierung der Familie an, mit doppeltem Gehalt in Algerien zu leben, genauer gesagt in der kleinen Stadt Ain Temouchent. Bis zum Ende des Algerienkrieges hat Jean-Louis seine Kindheit dort verbracht, reden will er darüber nicht.
Surfbretter auf dem Balkon
Aus dem Küchenfenster seiner Wohnung sieht man auf eine riesige Pinie, die fast ein mediterranes Flair im Wuppertaler Hinterhof verbreitet. Auf seinem Balkon lagert Jean-Louis seine Surfbretter. „Ich war letzte Woche noch in Holland zum Surfen“, sagt er. Ebenfalls auf dem etwas vollgestellten Balkon: eine große Hängematte, ein Sofa und sehr viele Pflanzen. Ein Kleinod. An der Wand hängt ein mit Goldrahmen versehenes Bild, das er mit ausgeschnittenen Früchten zu einer Quasicollage verfremdet hat. Die gesamte Wohnung ist prall gefüllt mit Erinnerungsstücken, jedes davon mit einer eigenen Geschichte. „Da unten ist ein Kindergarten, ich mag das, wenn was los ist“, sagt er und deutet in den Innenhof. Vom Wuppertaler Kneipenleben hält er sich mittlerweile aber eher fern. Wenn er mal das Haus verlässt, dann eher aus kulinarischen Gründen: „Ich gehe lieber mal gut essen, Kneipe muss nicht sein“, erklärt er. Dabei war Jean-Louis rund 15 Jahre lang eine echte Institution in der Wuppertaler Kneipen- und Kulturszene.
„In Deutschland kannst du Theater machen und etwas zu essen bekommen.“
Im November 1981 eröffnete er das bis heute erfolgreiche Café du Congo in der Luisenstraße. „Wir waren damals im Gespräch mit der Vorbesitzerin, Anni. Der Laden hieß ‚Die goldene 118‘, abgeleitet von der Hausnummer. So richtig wollte sie nicht. Irgendwann hatten einige der Stammgäste sogar ein Banner quer über die Straße gespannt, auf dem Stand ‚Wir wollen kein franz. Restaurant´. Wir machten uns darüber lustig und fragten: Sind wir denn hier im Kongo?“, erzählt er und lacht. Während eines Urlaubs in Mimizan an der Atlantikküste entdeckte er dann ein kleines Restaurant namens Café du Congo. „Der Urgroßvater des Besitzers hatte wohl eine Kaffeeplantage im Kongo. Im Keller stand sogar noch eine Röstmaschine.“ An den Tag der Eröffnung erinnert sich Jean-Louis noch ganz genau. „Ich hatte absolut keinen Plan. Ich konnte nicht einmal das Bierfass anstechen und musste mir Hilfe holen. Das Bier ist in hohem Bogen durch den Kühlraum gespritzt. Eine Karte mit Preisen hatten wir auch nicht.“ Ein Sprung ins eiskalte Wasser. Seit dem ersten Tag sei das Geschäft dennoch sehr gut gelaufen. Vor allem lag das an seinem großen Freundeskreis in der Kulturszene. „Der Laden war immer voll.“ Nicht nur das Ensemble von Pina Bausch gehörte zu den Stammgästen, auch zahlreiche andere Wuppertaler Musiker, Künstler und Kulturschaffende gingen hier ein und aus.
Das Café du Congo war von Anfang an ein beliebter Szenetreff und darüber hinaus ein fester Bestandteil jenes Viertels, das in den siebziger Jahren beinahe komplett verschwunden wäre. Es existierten damals sehr konkrete Pläne, die Altbauten in der Luisenstraße abzureißen und an deren Stelle moderne Wohnhäuser in Terrassenbauweise zu errichten. Das wäre der Tod des schönen Kneipenviertels gewesen. Eine Gruppe von Menschen, darunter Anna und Kurt Tykwer, Sonja und Heinz Velten, Chris und Will Baltzer, Peter Kowald, Peter Brötzmann und Marlene Schmidt-Büchle, setzte sich vehement für den Erhalt ein – und hatte Erfolg.
Einfach zu viel
Bis 1996 haben Jean-Louis Marie und seine mittlerweile verstorbene Frau Vita, eine erfolgreiche Schauspielerin, hinter dem Tresen gestanden. Auch Jean-Louis selbst hat eigentlich einen anderen Beruf gelernt. Vor seiner Zeit als Gastronom hatte er zehn Jahre als Regisseur gearbeitet. Angefangen als Praktikant in Frankreich, dann in Kiel, Bremen, Wuppertal. Sein französischer Lehrer, ein bekennender Brechtianer, hatte ihn ermutigt, nach Deutschland zu gehen. „Da kannst du Theater machen und etwas zu essen bekommen“, hatte dieser ihm gesagt. Über mehrere innerdeutsche Umwege ist er dann in Wuppertal gelandet. Zu seinem ersten Vorstellungstermin im Schauspielhaus kam er prompt zu spät. Schuld daran war die Schwebebahn. „Ich wollte unbedingt damit fahren“, erinnert er sich. Ungefähr 1975, mit etwa 28 Jahren, lockte ihn der große Luc Bondy nach Frankfurt, wo er aber nach einiger Zeit die Segel strich. „Das war einfach zu viel“, resümiert er. Zu früh wäre das für ihn damals gewesen, zu groß. Heute blickt er auf seine beiden Karrieren zurück und stellt fest: „Kneipe, das ist genau wie Theater.“ In beiden Berufen könne man sehr viel über die Menschen lernen.