Freizeit: Ibach Selbstspiel-Klavier
Christa Brand hat ein altes Selbstspiel-Klavier der Barmer Firma Ibach, das noch Walzer und Lieder per Lochstreifen spielen kann.
Die Töne stolpern ein bisschen. Aber die Melodie von Beethovens „Pathétique“ ist eindeutig erkennbar. Mit perfektem Anschlag gespielt ertönt sie aus dem Klavier. Die Tasten jedoch bleiben starr. Bei der Elberfelder Klavierbauerin Christa Brand steht einer der seltenen noch funktionstüchtigen Selbstspieler. Vor der Erfindung von Radio und Grammophon waren diese technisch aufgerüsteten Klaviere die einzige Möglichkeit, schwierige Stücke ohne eigenes Üben zu hören. Die kostspieligen Instrumente dienten oft als Statussymbol. Das Barmer Klavierhaus Ibach gehörte zu den wenigen Firmen, die um 1900 solche Klaviere und Flügel produzierten. Mit Hilfe von Lochpapier-Rollen können sie jedes beliebige Stück abspielen. „Am stärksten abgenudelt ist das Deutschlandlied“, erzählt Christa Brand. Einen ganzen Haufen solcher Musik-Rollen hat sie neben ihrem Selbstspieler liegen: Wagners „Tannhäuser“ ruht direkt neben der Operette „Czaar und Zimmermann“, Choräle neben der heiteren Melodiensammlung „Machen wir‘s den Schwalben nach“.
Die Mechanik des Selbstspielers wird hydraulisch betrieben. Drei kleine Blasebälge heben und senken sich und die Rolle beginnt, sich zu drehen.
Auf den ersten Blick unterscheidet sich das Klavier nicht von anderen. Nur von der Seite erkennt ein versierter Betrachter, dass es breiter ist. Mit geübtem Griff öffnet Christa Brand vorne eine Klappe und legt eine Rolle ein. Manche von ihnen sind hübsch mit Jugendstil-Muster verziert, andere schlicht weiß. Einzelne Löcher und langgezogene Schlitze durchziehen das vergilbte Papier. Die Spitze wird in eine kleine Lasche eingehängt und es kann losgehen. Für die Automatikfunktion muss die Pianistin neben den Pedalen noch zwei große Tretpedale herausklappen. Die Mechanik des Selbstspielers wird hydraulisch betrieben. „Das braucht echt viel Kraft“, stöhnt sie. Drei kleine Blasebälge heben und senken sich und die Rolle beginnt, sich zu drehen. „Ritardando“, empfiehlt nach einer Weile ein roter Schriftzug mitten zwischen den Löchern. Also drückt Christa Brand vor der Klaviatur einen kleinen Hebel nach rechts; er regelt die Geschwindigkeit. Und dabei immer weitertreten.
Strahlen- und Bogenklavier
Es war eine Frau, die auf die Zusammenarbeit mit der Freiburger Firma Welte setzte, dem damaligen Weltmarktführer selbstspielender Instrumente. Hulda Ibach übernahm 1892 die Führung des Klavierhauses Ibach mit mehreren hundert Mitarbeitern, nachdem ihr Mann Peter Adolph Ibach überraschend starb. In einer Zeit, in der Frauen weder wählen noch studieren oder erben durften, baute sie in Berlin eine dritte Fabrik des Unternehmens auf, verkaufte die Wuppertaler Instrumente bis nach Südamerika und Russland und erfand neue Instrumentenarten.
Eines davon steht im Verkaufsraum von Christa Brand: das Strahlenklavier mit seinen schräg auf den Pianisten zulaufenden Tasten. „Dadurch können auch Menschen mit kürzeren Fingern große Intervalle greifen“, erklärt die Klavierbauerin. Einen ähnlichen Zweck erfüllte auch das Bogenklavier mit seiner leicht halbrund geformten Tastatur. Für die Begleitung von Sängern und Melodie-Instrumenten wurde um 1900 der Transponierflügel geschaffen: Durch Umlegen eines Hebels konnte der Musiker die Tonhöhe um bis zu vier Halbtöne herunter und drei Halbtöne heraufsetzen. So konnte er etwa eine auf B gestimmte Klarinette begleiten, ohne die Töne im Kopf umrechnen zu müssen. Durchgesetzt haben sich all diese Erfindungen allerdings nicht. Und der Selbstspieler verlor seine Bedeutung durch die Erfindung des Radios und Grammophons.
Klang der Vergangenheit
Bei Christa Brand gehört das Ibach-Klavier jedoch schon lange zur Familie: „Meine Kinder haben alle daran Klavierspielen gelernt.“ Denn das 1905 gebaute Instrument kann auch ganz normal ohne Automatik genutzt werden. Es war reiner Zufall, dass die Klavierbauerin vor zwanzig Jahren über ihre Mutter von diesem Instrument hörte – und ein noch größerer Zufall, dass es sich in einer Wohnung auf der anderen Straßenseite befand. Da sie selbst im Klavierhaus Ibach gelernt hatte, schlägt ihr Herz besonders für die Instrumente des Wuppertaler Traditionsunternehmens. Also schleppte sie das durch die Technik sehr schwere Klavier in den vierten Stock und später wieder herunter in ihre heutige Werkstatt. Der Klang solcher alten Instrumente stellt für die Restaurateurin immer wieder eine Herausforderung dar: „Das Klangideal heute ist ganz anders als früher.“ Wenn sie für ein altes Klavier die gleichen Ersatzteile verwendet, die 1920 üblich waren, sind die Besitzer meist enttäuscht. Auch der heute höhere Kammerton – also die Grundtonhöhe des Klaviers oder Flügels – belastet die historischen Instrumente: „Jedes Hertz bedeutet 100 Kilo mehr auf dem System. Das muss es erst einmal aushalten“, erklärt Christa Brand. Aber trotzdem fasziniert es sie immer wieder, alte Schätze zu neuem Klang zu erwecken.