Verkehr: Birgitt Strafner

Zweite Heimat

Seit fast 27 Jahren führt Birgitt Strafner ihren Kiosk am Ascheweg in Ronsdorf. Dort verkauft sie Zeitschriften, Tabakwaren – und Fahrkarten für den ÖPNV. Für ihre Kunden hat sie stets ein offenes Ohr.

„Warten Sie, bleiben Sie da stehen – ich komme zu Ihnen!“, ruft Birgitt Strafner, die bereits eine Zeitschrift aus einem der Verkaufsregale gegriffen und sich in Richtung Ausgang in Bewegung gesetzt hat. Aus dem Türrahmen ihres Kiosks heraus verkauft sie dem offensichtlich gehandicapten älteren Herrn sein Lieblingsmagazin. „Er ist nicht so gut zu Fuß“, sagt die 71-Jährige, fast entschuldigend, bevor sie zurück hinter ihre Verkaufstheke huscht, um einen weiteren Kunden zu bedienen. Die Zeitschrift, die dieser gleich nach dem Bezahlen sorgfältig zusammenrollt, fixiert Strafner Sekunden später mit einem Gummiband, das sie unbemerkt hinter dem Tresen hervorgezaubert hat. Von irgendwo dort holt sie kurz darauf auch einen Behälter hervor, verschwindet Richtung Boden – und taucht lachend wieder auf. „Für ihn gibt es immer was“, sagt sie mit Blick auf den kleinen Hund, der zufrieden kauend an der Leine seines Herrchens zum Ausgang marschiert. „Wir haben hier noch einen anderen, der frisst nur Käse“, sagt Strafner und lacht wieder.

Tickets mit Herz
Über Langeweile in ihrem Job kann sich die Wuppertalerin nicht beklagen. Im Gegenteil. Regelmäßig geht es auf ihrer rund 36 Quadratmeter großen Ladenfläche zu wie am Hauptbahnhof. Menschen kommen und gehen, jeden einzelnen bedient sie mit Herzblut. Deckenhohe Regale an zwei Längswänden bieten ihren Kunden Zeitschriften und Magazine aller Art, hinzu kommen lokale Zeitungen, Tabakwaren und Zubehör, Glückwunschkarten, Kalender, Taschenbücher, eine kleine Auswahl an Süßigkeiten, ausgesuchte Sammlerartikel. Zusätzlich verkauft sie seit ziemlich genau einem Vierteljahrhundert VRR-Tickets für den öffentlichen Nahverkehr. Die nahm sie zwei Jahre nach ihrer Übernahme im Jahr 1991 in ihr Sortiment auf. „Zwar verkaufe ich seit der Großbaustelle am Döppersberg weniger Fahrkarten, aber trotzdem nutzen sie noch viele Kunden, um nach Elberfeld zu fahren, meist ältere Herrschaften“, erklärt die Vertriebspartnerin der WSW. Monatskarten finden den höchsten Absatz bei Schülern, sagt sie. Summiert sie alle Fahrkartenvarianten, kommt sie auf eine vierstellige Verkaufszahl im Monat.

„Eigentlich ist alles schön. Die Arbeit ist vielseitig. Und hier ist immer gute Stimmung.“

Stadtgespräche
Ein weiterer Schwerpunkt ihres Geschäfts ist die Lotto-Annahme. Aus diesem Bereich könnte Strafner viele Geschichten erzählen, hält sich aber lieber bedeckt. „Ja, Sechser im Lotto haben wir hier schon gehabt. Auch eine Monatsrente auf Lebenszeit wurde schon gewonnen. Natürlich sind große Gewinne für die Kunden fast immer erst mal ein Schock.“ Nachdem der überwunden sei, freuten sich die Glücklichen – gemeinsam mit ihr. „Dieser persönliche Austausch ist einfach schön“, so Strafner. „Man teilt gute und schlechte Nachrichten, hält sich über Stadtgespräche auf dem Laufenden, spricht über Angehörige und anderes. Ronsdorf ist wie eine große Familie“, sagt Strafner, die im Stadtteil vor vielen Jahrzehnten eine Ausbildung zur Floristin gemacht hatte. Als sie ihren Lehrberuf aufgrund eines Unfalls nicht mehr ausüben konnte, wurde sie zufällig darauf aufmerksam, dass der Kiosk am Ronsdorfer Ascheweg einen neuen Inhaber suchte. „Dann hatte ich mich irgendwie festgelegt“, sagt sie schlicht. „Und bin ins kalte Wasser gesprungen.“ Inzwischen kennt sie jeden Handgriff und die Wünsche ihrer Kunden, die teils auch aus anderen Bezirken wie Cronenberg oder Laaken kommen und mitunter Schlangen vor ihrer kleinen Theke bilden.

Die gute Seele
Zwei Jahre lang führte Strafner das Geschäft mit zwei alteingesessenen Mitarbeitern, dann kam ihr Mann Gerhard dazu. „Der Kiosk war seine zweite Heimat“, sagt sie und blickt in Richtung Schaufenster, wo ein Foto die Erinnerung an den vor drei Jahren Verstorbenen lebendig hält. Aktuell hat sie einen Mitarbeiter, der nachmittags vor Ort ist, und möchte noch eine zweite Kraft einstellen. „Wochentags bin ich von 6.30 Uhr bis ungefähr 14 Uhr hier, samstags von 6.30 bis 13 Uhr und am Nachmittag nochmal. Ich freue mich immer auf den Sonntag – das ist der einzige Tag, an dem ich im Sitzen frühstücken kann.“ Das viele Stehen mache ihr aber nichts aus: „Ich habe früher Handball und Basketball gespielt, ich bin ein sportlicher Typ.“ Zu Hause entspanne sie nicht etwa, sondern kümmere sich um den Haushalt. „Das liegt bei uns in der Familie.“

Familienwerte wie Zusammenhalt und Rücksicht bringt Strafner jeden Tag zur Arbeit mit. „Ich schaue nicht weg. Hier bekommt jeder Hilfe.“ In ihrer Zeit als Inhaberin hat sie bereits einen Überfall auf das eigene Geschäft vereitelt und Kindern Zuflucht gewährt, die von Älteren gehetzt wurden. Zudem stehen permanent zwei Spendendosen bereit: für die Jugend des TSV 05 Ronsdorf und das Bandwirker-Bad Ronsdorf. Auch für die junge an einem seltenen Tumor erkrankte Nela Prein aus Ronsdorf, deren Schicksal durch die Medien ging, hat sie Spenden gesammelt. „Ich habe immer gesagt, dass die Hilfsbereitschaft der Menschen früher höher war als heute. Das nehme ich nach dieser Aktion zurück. Die Leute haben viel gegeben.“ Ist das der Grund, warum sie so gern in ihrem Kiosk arbeitet – weil es dort so menschlich zugeht? Auf diese Frage antwortet die freundliche Frau mit der ihr wohl innewohnenden Bescheidenheit. „Eigentlich ist alles schön. Die Arbeit ist vielseitig. Und hier ist immer gute Stimmung.“