Energie: Erdgas feiert Jubiläum
Wuppertal gibt Gas
Vor fünfzig Jahren begannen die WSW damit, die Gasversorgung in Wuppertal von Kokereigas auf Erdgas umzustellen. Seither ist Erdgas der wichtigste Energieträger in der Wärmeversorgung.
Das Wuppertaler Erdgaszeitalter begann in Nächstebreck. Dort wurden am 12. August 1968 die ersten Haushaltsgeräte für den Betrieb mit Erdgas umgestellt. Diese Umstellungen waren nötig, weil Erdgas über einen höheren Brennwert verfügt als das bis dahin verwendete Kokereigas. Betroffen waren damals 115 000 Haushalte. Wasserkocher, Herde, Heizungen – bei allen mussten die Brenner neu eingestellt, das heißt die Düsen verengt und die Flammenaustrittsöffnungen vergrößert werden. Zwei Jahre dauerte es, bis das letzte Gerät für das neue Gas vorbereitet war.
Aber warum Erdgas? Ende der fünfziger Jahre wurden in den Niederlanden große Erdgasvorkommen entdeckt. Das Gasfeld bei Slochteren in der Provinz Groningen war damals eines der größten weltweit. Exportiert wurde das Erdgas auch nach Deutschland. Vorlieferant für die Gasversorgung in Wuppertal war damals Thyssengas. Das Unternehmen hatte bereits 1911 die erste deutsche Ferngasleitung von Duisburg-Hamborn nach Barmen gebaut. Das Gas wurde in den Zechen-Kokereien des Ruhrgebiets produziert. Auch Elberfeld nahm ab 1919 an der Ferngasversorgung teil. Mit der Entdeckung der Vorkommen im Nachbarland gab Thyssengas jedoch die Kokereigas-Produktion auf und wurde zum Erdgas-Importeur.
Umweltfreundlich, billig, ungiftig
Ab dem Sommer 1968 erhielten alle Wuppertaler Privathaushalte mit Erdgasanschluss Besuch von Installateuren, die die gasbetriebenen Geräte neu einstellten. Die WSW hatten dafür das Stadtgebiet in 91 Umstellungsbezirke aufgeteilt, die innerhalb von zwei Jahren nach und nach abgearbeitet wurden. „Geplant war, die Umstellung auf Erdgas in einem Zug durchzuführen. Wuppertal war die erste Großstadt, die das so handhabte“, berichtet Hans Peter Kirchner, der über vierzig Jahre bei den WSW als Betriebsschlosser und Techniker in der Gasversorgung tätig war und nun im Ruhestand ist. Er kennt auch noch die Zeiten, als mit Kokereigas gekocht und geheizt wurde. „Erdgas hatte ja drei große Vorteile gegenüber dem Gas aus der Kohle-Verkokung: es war umweltfreundlicher, ungiftig und vor allem billiger“, so Kirchner.
Letzteres war besonders wichtig, um die Kundinnen und Kunden von dem neuen Energieträger zu überzeugen, denn die Kosten für die Geräteumstellung musste jeder Haushalt selbst tragen. Bei einem Herd konnten das bis zu 100 D-Mark sein, bei einer Heizung in einigen Fällen sogar über 200 D-Mark. Für die damalige Zeit war das viel Geld. Der durchschnittliche Brutto-Arbeitslohn lag damals bei etwa 1.100 D-Mark. Die WSW betonten in ihrer Kommunikation daher, dass diesen Kosten Einsparungen von 15 bis 20 Prozent bei der Gasrechnung gegenüberstehen. Viele ältere Geräte ließen sich allerdings gar nicht mehr umrüsten. In diesen Fällen zahlten die WSW einen Zuschuss für die Neuanschaffung. Über moderne Erdgas-Haushaltsgeräte konnten sich die Wuppertalerinnen und Wuppertaler im mobilen Erdgas-Beratungswagen in ihrem Umstellungsbezirk und in einem großen aufblasbaren Ausstellungszelt, dem sogenannten Plastik-Iglu, informieren. Das weiße Zelt stand zunächst an der Rosenau in Barmen und wurde danach an der Karlstraße in Elberfeld aufgebaut.
„Erdgas hatte ja drei große Vorteile gegenüber dem Gas aus der Kohle-Verkokung: Es war umweltfreundlicher, ungiftig und vor allem billiger.“ Hans Peter Kirchner
Aufklärung in Sachen Erdgas
Das Umstellen der Brenner dauerte meist nicht lange. In der Regel waren die Arbeiten an einem Vormittag erledigt. Die Beheizung mindestens eines Raumes musste bis zum Abend wieder möglich sein – so die Vorgabe der WSW an die ausführenden Installateure. Konnte ein Gerät nicht vor Ort umgestellt werden, nahmen die Installateure es mit in die Werkstatt und der Kunde bekam ein Ersatzgerät. Aufwendiger war die Prozedur in den Industriebetrieben. „Wichtige Gaskunden in der Industrie waren zum Beispiel die Härtereien in der Werkzeugproduktion“, erinnert sich Kirchner. Hier war es auch schon mal notwendig, die Brenner ganz neu anzufertigen.
Im Zusammenhang mit der Umstellung tauchten teilweise kuriose Fragen auf. So klärten die WSW in ihrer Kundenzeitung darüber auf, dass man mit Erdgas nicht schneller kochen kann als mit dem alten Kokereigas. Trotz des höheren Heizwertes brenne es nicht heißer, wurden die Leser belehrt. Allerdings benötige man „entsprechend weniger Gas für den gleichen Erwärmungsvorgang“. Man koche also „billiger“, aber nicht schneller.
Als letztes wurden im Juni 1970 die Haushalte im Bereich Uellendahl/Hatzfeld umgestellt. In der Folge stieg die Anzahl der Gaskunden sprunghaft an, allein beim Heizgas von 12 000 im Jahr 1968 auf 35 000 im Jahr 1970. In der letzten Woche der Umstellung begrüßten die WSW den einhunderttausendsten Gaskunden.
Wichtigster Energieträger
Fünfzehn Jahre später kam eine erneute Veränderung auf die Wuppertaler Haushalte zu. Das Erdgas für Wuppertal kam nun nicht mehr aus Holland, sondern aus neu erschlossenen Erdgasfeldern vor der norwegischen Küste. Dabei handelte es sich um sogenanntes H-Gas, das wiederum über einen höheren Brennwert als das niederländische L-Gas verfügte. Abermals mussten die Brenner aller Gasgeräte umgestellt werden. „Diese Umstellungsaktion war allerdings weniger aufwendig“, erzählt Hans Peter Kirchner. Der Grund: „Bei dieser Gelegenheit wurde viele ältere Geräte aus dem Verkehr gezogen und von den Kunden ersetzt. Die Änderung der Brenner entfiel dann natürlich.“
Heute ist Erdgas der wichtigste Energieträger für die Wärmeversorgung in Wuppertal. Über zwei Millionen Kilowattstunden Erdgas liefern die WSW pro Jahr an ihre Kunden.