Verkehr: WSW-Kunden feiern Jubiläum im Kaiserwagen
Die Stadt der Angeber
Afra Margarete und Wolfgang Schad sind seit 65 Jahren verheiratet – und ebenso lange Kunden der WSW.
„Damals haben wir Strom eigentlich nur für das Licht gebraucht – das Radio bekamen wir erst später“, erzählt Afra Margarete Schad. Die Butter wurde 1952 noch im Keller in einem mit Wasser gefüllten Steinkrug aufbewahrt und die Wäsche im Kessel auf dem Kohleofen gekocht. „Den Kaffee haben wir mit der Hand in der Mühle gemahlen.“ Radio, elektrische Kaffeemühle, Kühlschrank, Waschmaschine – all diese Geräte kamen erst später, mussten erst erspart werden.
1952 war das junge Ehepaar schon froh, eine eigene Wohnung zu bekommen. „Ein Kriegskamerad war am Wohnungsamt beschäftigt“, erinnert sich Wolfgang Schad, der mit 16 Jahren in den Krieg ziehen musste. Nur durch diese Beziehung kamen die beiden an den damaligen Neubau am Sedansberg: zwei Zimmer mit Bad. Kennengelernt hatten sie sich beim Tanzen in Hatzfeld. Ein Jahr lang waren sie verlobt, dann haben sie geheiratet. „Für den Weg zur Kirche haben wir uns ein Auto geliehen.“ Pünktlich ein Jahr später wurde der Sohn geboren. Telefon hatte das junge Paar damals noch nicht. Also klingelten sie morgens um fünf Uhr die einzigen Nachbarn heraus, die eines besaßen, um einen Krankenwagen zu rufen. Zurück musste der Ehemann laufen – es war Fronleichnam und die Straßenbahnen fuhren so früh am Morgen noch nicht. Und bei der Geburt waren Herren in den Fünfzigern unerwünscht.
Freizeit im Nachkriegs-Wuppertal
Mit dem Kinderwagen und mit anderen befreundeten Familien machte man am Wochenende Ausflüge ins Grüne. „Das war eine schöne Zeit“, erinnert sich die Seniorin. Trotz geringer finanzieller Mittel. „Wir sind immer zu Fuß gelaufen, für den Bus hatten wir kein Geld.“ 25 Mark Kindergeld habe sie damals bekommen. In den Ferien half sie häufiger bei der AOK aus, um sich etwas dazuzuverdienen. Später bekam sie dann eine Halbtagsstelle bei der Post. 30 Jahre lang versah sie den Schalterdienst beim Hauptpostamt in Barmen. Ihr Mann arbeitete als Heizungsmonteur.
„Für den Weg zur Kirche haben wir uns ein Auto geliehen.“ Wolfgang Schad
Abends traf man sich in den 50er Jahren meist zu Hause: „Einer brachte Kartoffelsalat mit, der andere Kohlen. Später ging es dann los, dass einer den anderen übertreffen wollte, dann gab es russische Eier oder Heringssalat.“ In seiner Freizeit spielte Wolfgang Schad Fußball, seine Frau Handball. Manchmal besuchten sie auch Vorstellungen der Volksbühne oder des Thalia Theaters.
Zur Eisernen Hochzeit haben die WSW das Ehepaar Schad zu einer Fahrt mit dem Kaiserwagen eingeladen. Unterwegs kommen dem Paar viele Erinnerungen: „Wir sind früher gerne mit der Barmer Bergbahn gefahren – oben guckten wir dann zu, wie der Wagen auf das andere Gleis geschoben wurde.“ Auch den Elefanten Tuffi haben die beiden damals erlebt. Nachdem sie in der Zeitung von dem Unglück gelesen hatten, besuchten sie natürlich die Vorstellung des Zirkus‘ Althoff. „Tuffi hat die üblichen Sachen gemacht, sich hingesetzt und die Vorderbeine in die Höhe gestreckt und so“, erzählt die Seniorin.
Mitfahrt auf dem Trittbrett
Beide Schads sind geborene und überzeugte Barmer: „Ich würde nie nach Elberfeld ziehen“, sagt Afra Schad im Brustton der Überzeugung. Elberfeld, das war in ihrer Jugend „die Großstadt, die Stadt der Angeber“. Barmen sei viel ländlicher gewesen. „Und damals gab es in Barmen auch noch schöne, exklusive Geschäfte.“ Bei den Straßenbahnen habe es Winter- und Sommerwagen gegeben. „Die Sommerstraßenbahnen waren offen, mit einem Trittbrett vorne drauf. Da sind wir als Kinder immer drauf mitgefahren.“
Wo sich heute die Station Landgericht befindet, sei früher die Lichtheilanstalt gewesen, sagt die 86-Jährige, die ihre Lehre bei der AOK gemacht hatte. In der Lichtheilanstalt sei eine Röntgenabteilung gewesen, zu der die Ärzte ihre Patienten schickten. Wer sich damals krank gemeldet hat, sei zur Kontrolle von Mitarbeitern der AOK zu Hause besucht worden.
Am Alten Markt erinnert sich das Ehepaar an die schlimmen Tage nach dem Bombenangriff: „Hier war alles ein Trümmerhaufen – da stand nichts mehr.“ Afra Schad sollte damals zwei Tage später mit der Kinderlandverschickung nach Pommern reisen. Angesichts der zerstörten Bahnhöfe unmöglich. Später lief sie mit ihrer Mutter zu Fuß nach Oberbarmen – „außen herum, denn durch die Stadt ging es wegen der Trümmer nicht“ – und fuhr von dort aus nach Hessen auf den Bauernhof ihrer Großeltern. „Da habe ich dann die restlichen Kriegsjahre gelebt.“
Als die Kaiserwagen-Begleiterin Edda Friedrichs von Johannes Rau erzählt, steuert Wolfgang Schad gleich eine Anekdote bei: „Den kannte ich gut. Der hat hundert Meter von mir entfernt gewohnt.“ Ein paar Jahre jünger sei er gewesen, man habe sich oft gesehen. Später war der Politiker sogar mal zu Gast im Schrebergarten der Schads.